Printversion
* Artikel zum
Schwerpunkt
oder Klick auf
den Titel zeigt den
Artikel im Archiv
(neues Fenster).
Sie können dort
unverbindlich
stöbern.
Klappt in der Liste
rechts eine Kurz-
beschreibung des
Artikel aus/ ein.
Ursprünglich sollte es nur ein Arbeitstitel sein, doch der hat sich dann im Laufe der Zeit verfestigt: Jetzt lautet der Themenschwerpunkt dieser Meridian-Ausgabe "Starke Frauen" – und ich bin nicht 100 % glücklich damit. Denn sind Merkmale mentaler und charakterlicher Stärke nicht bei allen Geschlechtern gleich? Haben Frauen besondere Stärke-Konstellationen? Vermutlich nicht. Besser müsste das Titelthema heißen: "Frauen, die sich nicht länger schwach machen lassen/ließen." Denn darum geht es: Frauen werden schwach gemacht. Zum Beispiel dadurch, dass man ihre Leistungen verschweigt und sie aus der Geschichte tilgt. So wurde erst 50 Jahre nach der Mondlandung öffentlich, dass eine Frau, Margaret Hamilton, dieses Weltraumabenteuer erst möglich gemacht hatte. Sie war es, die den Programmcode für den Bordcomputer schrieb. Softwareentwicklung war damals Frauenarbeit; das änderte sich erst, als man damit Renommee und Geld einheimsen konnte. Ernst Ott beschreibt in seinem Beitrag ab Seite 10, wie die Weisheit der Frauen aus der Astrologiegeschichte verschwand und welche Folgen das für uns hat.
Während das gesellschaftliche Verschweigen von Leistungen, das Kleinreden und Unsichtbarmachen Folgen einer sich selbst verstärkenden Wahrnehmung und manchmal damit schwer erfassbar sind, zeigt die Gesetzgebung oft sehr klare Strategien der Benachteiligung. Aktuell erleben wir dies wieder an den Paragraphen des deutschen Strafgesetzbuches, die sich um den Schwangerschaftsabbruch drehen. Seit knapp 150 Jahren wird über dieses Gesetz diskutiert. Kaum verabschiedet, meldete sich Widerspruch vor allem von denjenigen, die davon betroffen waren und sind. Doch auch, wenn Schwangerschaftsabbruch in Deutschland unter bestimmten Bedingungen straffrei bleibt, handelt es sich auch heute noch um ein Tötungsdelikt. Die Geschichte der §§218f schaut sich Kirsten Buchholzer ab Seite 30 astrologisch an.
Ein schon etwas abgenutztes Bonmot lautet: Die Astrologie ist weiblich. Schaue ich, wer sich für meine Astro-Kurse oder für astrologische Beratungen anmeldet, stimmt das tatsächlich: Es sind überwiegend Frauen. Doch spiegeln die Astrologieszene, die Art und Weise, wie wir Horoskope deuten und Wissen weitergeben, die Verbände, Arbeitskreise und Zusammenkünfte das wider? Es ist schon eine Weile her, da gab es eine lautstarke feministische Astrologie, doch von der ist heute quasi nichts mehr zu hören. Brauchen wir sie nicht mehr, um Geschlechtergerechtigkeit herzustellen? Das Problem fängt schon im Götterhimmel an, wie Monika Heer ab Seite 13 darlegt.
Wen könnte man denn nun als starke Frau bezeichnen? In meinem privaten Umfeld sehe ich viele Frauen, auf die das zutrifft: alleinerziehende Mütter, Freundinnen, die sich aus übergriffigen Familiensystemen befreit haben, Kolleginnen, die gegen die Zweifel ihrer Umwelt ihre eigene Astrologiepraxis eröffneten, Depressive, die Zuversicht verstrahlen, obwohl es in ihnen selbst dunkel und hoffnungslos aussieht, Nachbarinnen, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen … Und dann fallen mir viele, viele, viele berühmte und weniger berühmte Namen ein: Nadia Murad, Monika Hauser, Rosa Parks, Emma Ihrer, Anandi Gopal Joshi, Dorothea Erxleben, Jeanne Labrosse, Bertha Benz, Ingrid Newkirk – wen sollen wie hier porträtieren? Wir könnten ein Jahr lang ausschließlich die Horoskope starker Frauen vorstellen und hätten dann immer nur noch die Winzigkeit eines winzigen Ausschnitts all der starken Frauen gezeigt. In dieser Ausgabe sind es nun Carola Rackete (S. 16), Etty Hillesum (S. 18), Bebe Vio (S. 20), Gianna Nannini (S. 20), Jane Goodall (S. 22) und Tina Turner (S. 26). Sie stehen als Stellvertreterinnen für all diejenigen, die in dieser Ausgabe nicht erwähnt werden konnte. Doch ich bin mir sicher: Wenn Sie weitere Meridian-Hefte durchschauen, werden Sie ständig und überall starke Frauen entdecken – wir müssen nur die Augen dafür öffnen!
Herzlich,
Holger A. L. Faß