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da ist es wieder, das vertraute leere Dokument, auf dem milchig-weißen Bildschirm. Es ist mal wieder Abend geworden, bis sich das Empfinden einstellte, jetzt sei der richtige Augenblick gekommen, um in Worte zu fassen, was den flüchtigen Geist seit Tagen beschäftigt. Doch der »Augenblick« dauert bereits eine Stunde, und obwohl ich fleißig war und etliche Zeilen geschrieben habe, wird nichts davon jemals zu lesen sein. Ich habe alles wieder gelöscht.
Früher griff ich in solchen Fällen zu einem Glas Rotwein und einer Zigarre, jetzt steht eine Kanne frisch aufgebrühter grüner Tee vor mir. Ich höre Musik von Puccini. Eine Messe, die er als 22-Jähriger komponiert hat. Welch großes Talent. Auch eine Art von Schreiben, das Komponieren von Musik, denke ich gerade. »Diesen Absatz löschen wir wieder«, meint mein innerer Kritiker, »zu persönlich.« Ich halte ihn davon ab.
Erneut mache ich die Erfahrung, dass Schreiben eine Arbeit ist, die viel Zeit, Disziplin und Ausdauer erfordert. Schreiben ist sicherlich auch eine Kunst, die von der Inspiration lebt, doch der Weg bis zum druckfertigen Text ist meist mühsam und lang.
Jetzt ist der Bildschirm bereits halb gefüllt und ich gehe zur Entspannung an meinen Bücherregalen entlang und greife mir einige Bücher heraus. Mir fällt auf, dass Autoren, die ich mag, ihren eigenen, unverwechselbaren Stil haben. Sie schreiben authentisch, so wie es ihrem Wesen entspricht. Insofern gleicht keiner dieser Schriftsteller einem andern, auch wenn es natürlich zwischen manchen Autoren Ähnlichkeiten und parallele Erfahrungswelten geben mag. Doch Verarbeitung und Ausdruck von Erlebtem oder auch Vorgestelltem sind stets individuell, eine Art persönlicher Wahrheit. »Dies sagt natürlich mehr über dich als über allgemeingültige Autorenqualitäten aus – über Dein Löwe-Sein und den Anspruch deines Löwe-Merkur als AC- und MC-Herrscher im 12. Haus in Plutokonjunktion«, merkt mein Kritiker an.
Meine Gedanken schweifen zurück. Als ich selbst zum ersten Mal astrologisch beraten wurde, wies mich der Astrologe mehrfach und nachdrücklich auf mein angeblich ausgeprägtes schriftstellerisches und publizistisches Talent hin. Ich schüttelte seinerzeit nur ungläubig mit dem Kopf. Nichts davon war mir auch nur ansatzweise bewusst. Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt noch nie etwas geschrieben, außer gelegentlichen, eher dilettantischen Tagebuchaufzeichnungen.
Inzwischen habe ich viel geschrieben und veröffentlicht. Manche Prophezeiungen sind offensichtlich auch dann selbsterfüllend, wenn man nicht an sie glaubt – oder sie entsprechen einer inneren Wahrheit, der man sich auf Dauer nicht entziehen kann. Wie dem auch sei, ich schreibe – zum Leidwesen derer, die mich nicht mögen, und zur Freude derjenigen, denen es gefällt. Während ich nun entspannt vom Bildschirm zur Couch wechsle, erklingt gerade das schönste »Agnus Dei« der Welt. Komponieren müsste man können.
Ich wünsche Ihnen im Namen aller Autorinnen und Autoren eine anregende Lektüre.